Da ist jemand müde

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schweigen und sitzen

Mit buddhistischem Frohsinn präsentiere ich den zweiten Gastbeitrag in diesem Blog. Diesmal ein Text, der den Leser mitnimmt auf ein 10-tägiges Abenteuer voller Entbehrungen und Grenzerfahrungen. Und nein, dabei meine ich nicht die Zeit zwischen dem Erscheinen einzelner Texte auf Da ist jemand müde. Dieser Zeitraum ist ja meist länger als 10 Tage. 

Es geht um eine wahre Geschichte, ein Tatsachenbericht. Eine Bericht ohne Kinder, aber mit einer Katze. Es handelt sich dabei um die Kurzversion für zeitlich stark eingespannte Menschen. Wer den ausführlichen Bericht lesen möchte, kann dies tun unter seldasitzt.jimdo.de.

Als Service wird es von nun an die Gastbeiträge immer auch als Hörversion geben. Hoffentlich irgenwann dann auch ohne anfängliches Knacken und ohne Verleser.

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Zur Autorin:  Selda ist Da ist jemand müde-Leserin der allerersten Stunde und bekannte Besitzerin eines tollen T-Shirts, welches Sie gerne samt Meditationsadiletten im urbanen Umfeld aufträgt.

Bis zu diesem Bericht wusste ich nur, dass Selda sitzen kann ... schweigen war mir neu.


10 Tage Schweigen? Du? Whaaaat? Trotz teilweise verächtlicher Kommentare, habe ich das Abenteuer Schweige-Meditation gewagt. Seit Anfang des Jahres meditiere ich mit Hilfe der App Headspace 10 Minuten am Tag und dachte mir, das schaffe ich auch volle 10 Tage. Um die Hard Facts kurz zusammen zu fassen: Buddhistischer Verein, kostet nichts, du machst nichts anderes als 10 Stunden am Tag sitzen, meditieren und schweigen. Keine Kommunikation zu anderen Mitmeditierenden. Nur me, myself and I. Das Ganze wird angeleitet durch einen indischen Gelehrten, ein gewisser S. N. Goenka. Der gute Mann ist allerdings schon verstorben, also schickte man eine ältere Dame, die als seine persönliche DJane seine Weisheiten von einem Band abspielte und uns über die 10 Tage begleitete.
Mit das Spannendste war es, welcher Schlag Menschen mit mir schweigt. Und natürlich gab es sie, die Eso-Mädels, die Rasta-Jungs. Ein leichter Duft von Patschuli. Mädels, die barfuss durch die Felder liefen und immer wieder die Hände auf Mutter Erde legten. Und mir hatte keiner was vom Dresscode erzählt. Ich muss die Shopping Week auf dem Bazar in Rajasthan verpasst haben. Ich sah viele Hosen mit Elefantenaufdruck. Ich hatte mir bei Uniqlo extra eine neue Yoga-Hose gekauft, mein Outfit mit geliehenen Adiletten gepimpt und war damit der Steve Urkel der Gemeinschaft. Aber ich musste dort auch niemandem gefallen. Mal abgesehen davon, dass es eine strenge Geschlechtertrennung gab.

Der Tagesablauf von Tag 1 bis Tag 9 war immer gleich. 4 Uhr morgens ging der Gong - aufstehen. Drei Mal am Tag gab es die Gruppenmeditation, die verpflichtend in einer Meditationshalle stattfand. Immer eine volle Stunde. Die anderen Meditationsslots waren je nach Anweisung der Lehrerin im eigenen Zimmer oder eben optional in der Halle.

An Tag 0,
dem Anreisetag, durfte noch gesprochen werden. Es gab eine Einführung, Handy abgeben, alles abgeben, was der Unterhaltung dienen könnte. Keine Schreibsachen, kein Buch, kein gar nichts. Die Zimmeraufteilung machte mir Sorgen. Es hieß, dass man sich als neue Schülerin das Zimmer mit zwei oder sogar drei anderen Damen teilen muss. Man nannte mir meine Zimmernummer. C1 it is.
Ich zog meinen Koffer hinter mir her und sprach mein Mantra "Bitte keine Schnarcherin, bitte keine Schnarcherin ... " Tür auf und nichts. Besser gesagt niemand. Ich stand in meinem noblen Einzelzimmer mit Bad/Klo en suite. Ok Buddha, wenn das deine Vorstellung von einem asketischen Leben ist - nehm ich. Cooler Typ. Ich schaute mich um, wer sonst noch in den anderen 9 Einzelzimmern untergebracht war. Hm, eine offensichtlich schwer kranke Frau, drei Schwangere und der Rest ältere Damen. Also sehe ich entweder gebrechlich, fett oder alt aus. Soll mir Recht sein. An Tag 10 stellte sich allerdings heraus, dass es einen Zahlendreher in meinem Geburtstagjahr gab und man mich für weit über 80 hielt. Muahahaha. Lucky me. Am selben Tag gaben wir das feierliche Gelübde gegen 21 Uhr ab, uns an die Regeln zu halten.

Und damit fing das Abenteuer an Tag 1 um 4 Uhr morgens mit dem ersten Gongschlag an.

Tag 1-3. 
Die ersten Tage waren neu, spannend und aufregend. Man war erstaunlich schnell in dem Rhythmus drin. Ich teilte mir meine Pausen genau ein, lief viel draußen rum und putzte jeden Tag meine Einzelsuite. Als es da nichts zu tun gab, ging ich in das Gemeinschaftsbad der anderen Mädels und brachte dort ein bisschen Ordnung rein. Ja, leicht zwanghafte Züge, I know. Außerhalb der strengen Gruppenmeditation, war es erlaubt, sich fünf Minuten draußen zu bewegen. Immer wenn ich zum Laufen raus ging und keiner unten im Vorraum der Halle war, sortierte ich alle Schuhe der Mädels in Reih und Glied. #geschlosseneanstalt

An Tag 4
hatte ich meinen absoluten Tiefpunkt. Ich hatte so dermaßen Nackenschmerzen, dass ich heulend zu einer Betreuerin ging und wie ein Junkie um Ibuprofen bettelte. Sie sagte, ich müsse mit der Lehrerin reden, das könne sie nicht entscheiden. Das tat ich auch und erklärte mein Leid. Diese Lehrerin hatte jetzt so mittel Mitleid. Ibuprofen würde mich betäuben und ich könnte alle anderen Empfindungen in meinem Körper nicht mehr in dem vollen Umfang wahrnehmen. Ja hm, ein guter Punkt. Ich solle meinen Schmerz aushalten und zum Schlafen dürfte ich welches nehmen. Wie bei einer Drogenübergabe lagen am selben Abend in meinen Schuhen vor der Tür endlich die erlösenden Tabletten. Ich teilte sie mir ein und nahm erstmal eine halbe und kauerte wieder heulend am Boden mit einer Wärmflasche, die mir auch vor das Zimmer gelegt wurde. Ab Tag fünf wurde mein Nacken besser.
 
Tag 5-6
vergingen ohne große Vorkommnisse. Ich war froh, dass ich Bergfest feiern konnte und hatte meine Tiefphase überwunden.
 
Tag 7
war für mich der absolute Highlight-Tag. Ich hatte es zum ersten (und einzigen) Mal geschafft, eine volle Stunde völlig regungslos zu meditieren. Weder Arme, noch Beine bewegt, nicht die Augen geöffnet. Als ich dachte, der Tag kann nicht noch aufregender werden, wurde tatsächlich auf der Nebenwiese unseres Spaziergeländes der Rasen gemäht. Ein Herr fuhr mit seiner Mähmaschine Bahn um Bahn. Ich beobachtete ihn wie gebannt. Es war spannender als das Staffelfinale von Billions. Stellt euch meine Langweile vor, wenn ich das als Highlight bezeichne. Und dann geschah etwas so Unfassbares. Ich war im Putzraum, um meine Klopapierbestände aufzufüllen, als auf einmal jemand zu mir sprach! "Entschuldige bitte, hast du vielleicht eine Pinzette für mich?" What the f*** ???? Wegen einer Pinzette brichst du die edle Stille. Mädchen, ich hoffe für dich, dass deine Augenbrauenkorrektur on fleek ist, dass es sich gelohnt hat, dafür die vollkommene Erleuchtung zu riskieren. Ich ging wortlos in mein Zimmer, legte die Pinzette vor meine Tür und schloss selbige. Damit war ich safe, nahm ich an.
An Tag 8 hatten sie mich. Mein Wille war gebrochen: Ich lief barfuß durch das Feld. Hätte ich eine mit Elefanten bedruckte Hose dabei gehabt, an diesem Tag hätte ich sie getragen.
 
Tag 9
war ein absoluter Kaugummi Tag. Er zog sich. Aber auch das ging vorbei.
 
An Tag 10
wurde am Vormittag die edle Stille dann gebrochen, um einen smoothen Übergang in die normale Welt zu bekommen und sich auszutauschen. Ratet, wer als erste gesprochen hat? Ja, ich weiß. Sehr überraschend, dass ich es war.
 
An Tag 11
war der große Abreisetag. Das hieß, dass wir uns an dem Tag wieder "normal" anziehen konnten. Ich hatte mir für den Abfahrtstag extra schöne Sachen eingepackt. Stylo Jeans, hippes Shirt, coole Sneaker. So lief ich aufgehübscht zu den anderen und fragte in die Runde freudestrahlend, ob sie nicht auf froh sind, endlich wieder in ihren normalen Sachen rumzulaufen. Kaum ausgesprochen, wünschte ich mir die Edle Stille zurück. Mir fiel just in dem Moment erst auf, dass sie alle noch ihre Elefanten-Schlabberhosen anhatten.

Uschi
Ich dachte mir im Vorfeld, wenn man mich nicht anschauen und nur auf meine Füße gucken darf, lass ich mir noch eine Pediküre raus. Knall orangener Neon Nagellack kam drauf. Aber nicht die Mädels waren es, die das toll fanden. Als ich am Abend von Tag 10 auf die Männer Terrasse rüber lief, ging ein Schrei los: "Ey Jungs, das ist sie!!!!" Immer wenn man sein Geschirr vorgespült hatte, stand man neben einer Sichtschutzwand zu den Männern und konnte nur Füße sehen. Es stellte sich heraus, dass meine Füße zum Star der Spülschlange wurden und die Jungs sich fragten, was für eine Tussi denn bitte dahinter steckt. Sie waren fast enttäuscht, dass ich nicht blond war und Uschi hieß.

Der Antichrist
Ein Hinweisschild hing nicht nur sehr prominent an der Eingangstür zum Speisesaal, nein wir wurden auch mehrmals bei der Einführung an Tag 0 darauf hingewiesen: Die Katze, die sich auf dem Gelände rumtreibt, darf auf keinen Fall gestreichelt werden. Auch zu Tieren also kein Kontakt, keine Kommunikation. Das stellte sich für mich auch als sehr schwer heraus. Die Katze verfolgte mich. Saß vor meiner Zimmertür. Warf sich mir vor die Füße, biederte sich an und sagte mir: Los, streichel mich. Du willst es doch auch. Ja, ich wollte es. Im Geiste nannte ich sie Antichrist und beobachtete sie einfach nur. Sie wurde mein Freund. An Tag 9 regnete es, ich war mit meinem Schirm zu meiner Laufrunde unterwegs und setzte mich unter einen Baum und beobachtete den Regen. Antichrist schlich sich unbemerkt an und kletterte auf meinen Schoß. Ich lies es zu. Tag 9 yolo.
 
Und sonst so
Mein Platz in der Meditationshalle war der Beste. Ich saß ganz hinten im Eck. Hinter mir nur noch die Wand und die Ausgangstür. Keiner konnte mich beobachten. Ich wiederum hatte alle im Blick. An Tag 1 habe ich aber direkt einen Rüffel bekommen. Ich hatte ungefragt mein Meditationskissen einfach nach hinten an die Wand geschoben, so dass ich mich anlehnen konnte. Die Betreuerin kam ganz aufgeregt zu mir, wer mir das erlaubt hätte. Öhm. Niemand.  Und so war ich die erste Schülerin, die an Tag 1 bei der Lehrerin antanzen durfte. Ich erzählte ihr von meinem Nackenschaden und sie hatte Erbarmen, ich durfte dort sitzen bleiben.

An Tag 3 dehnte ich mich kurz bevor die Session losging in der Halle. Wieder kam die Betreuerin auf mich zugerannt und wies mich darauf hin, sofort raus zu gehen. Ich gehe davon aus, die Männer wären sonst ganz wuschig geworden, zumal ich an dem Tag meine besonders aufreizend ausgebeulte Sternchen Schlabberhose trug.
 
Es ist natürlich super intensiv 10 Tage so völlig bei dir und mit dir allein zu sein. In einem Vortrag beschrieb Goenka, dass die Gedanken durchdrehen und wie ein Affe von Baum zu Baum hüpfen. Ein Affe? Bei mir war es eine ganze Horde von Berggorillas, die Bambule machte. Er meinte, wir seien alle geisteskrank. Du sitzt da in Summe ca. 100 Stunden. Das sind 6000 Minuten, in denen ich es kaum geschafft habe, eine voll Minute komplett frei von Gedanken zu sein. Ja ok, ich bin geisteskrank. Keine überraschende Erkenntnis.
Die Meditationstechnik an sich, wollte bei mir nicht ankommen. Vielleicht war ich zu sehr auf die wohlige Stimme von Andy Puddicombe von meiner Headspace App fixiert, der dir mit seinem charmanten Englisch ein wohliges Gefühl gibt. Alles zeitgemäß aufbereitet und super modern. Goenka hingegen, hat super schlecht englisch gesprochen. Outcoming brett ... incoming brett ... What? Ach Breath ... alles klar. Seine Stimme hat mich irgendwann einfach nur aggressiv gemacht. Immer wieder sang er seine Shantis und wiederholte sich hundert Mal. Fühlt die Sensations, alle Sensations. Egal ob kitzelige Sensations oder warme Sensations oder kalte Sensations, alle Sensations. Ich musste immer wieder den Impuls unterdrücken, während den Vorträgen aufzuspringen und zu schreien "WENN DU JETZT NOCH EINMAL DAS WORT SENSATIONS SAGST - FASSE ICH DIE KATZE AN!!"
 
Fazit
Muss ich nicht noch mal machen. Zu spirituell, zu Sitzfleisch-lastig, zu viele Elefanten. Was das Meditieren an sich angeht, bleibe ich bei meiner App. Aber ich bin stolz auf mich, dass ich es gemacht und auch durchgezogen habe. Die Affenbande in meinem Kopf darf weiter Bambule machen. Das ist ok.
 
Fun Facts

  • 37 mal hustete ein Mitmeditierender in der Nachmittagssession an Tag 5
  • 7 der 24 neuen Schülerinnen brachen den Kurs vorzeitig ab. Keiner der Männer.
  • Das Durchschnittsalter der Damen lag etwa bei 35 Jahren
  • Am Abend des 11. Tages machte ich mein IPhone wieder an. Es erwarteten mich 541 Nachrichten in 37 Chats und 126 Emails. Ja Zalando, ich lebe noch. Danke der Nachfrage
  • In 10 Tagen habe ich 2 Kilo abgenommen
  • Am 11. Tag habe ich mir noch Adiletten gekauft
  • Mein Nagellack ist von China Glaze und heißt "Surfin' for boys"